Donnerstag, 15. März 2018

Versuch eines modernen Gottesbeweises: Die Omegapunkt-Theorie

In seinem Buch „Die Physik der Unsterblichkeit“ behauptet der Autor Frank J. Tipler, dass Gott existiert und dass ein Leben nach dem Tode, Auferstehung und ein ewiges Leben Realität sind. Seine Omegapunkt-Theorie, eine – wie er meint – beweisbare physikalische Theorie, besagt, dass „ein allgegenwärtiger, allwissender, allmächtiger Gott eines Tages in der fernen Zukunft jeden einzelnen von uns zu einem ewigen Leben an einem Ort auferwecken wird, der in allen wesentlichen Grundzügen dem jüdisch-christlichen Himmel entspricht.“ (S. 24). Tipler erklärt die Theologie zu einem Spezialbereich der Physik, behauptet, dass die Physik die Frage nach Gott lösen kann und beantwortet die drei grundlegenden Probleme der Metaphysik Gott, Freiheit und Unsterblichkeit wie folgt:
 
„Wahrscheinlich existiert Er, wahrscheinlich haben wir einen freien Willen, wahrscheinlich wird Er uns ein ewiges Leben nach dem Tode schenken. Ich sage »wahrscheinlich«, da es nicht Sache der Physik ist, eine absolut und mit Sicherheit wahre Antwort zu geben, die für alle Zeiten gültig ist.“ (S. 31)
 
Schon an diesem Zitat ist erkennbar, dass Tipler mit der auf dem Schutzumschlag seines Buches zu lesenden Behauptung „Gott existiert,...“ Erwartungen geweckt hat, die er im folgenden Text nicht wird erfüllen können. Auch ist er sich selbst nicht im Klaren, ob der von ihm postulierte Omegapunkt-Gott tatsächlich existiert und mit dem Gott im allgemeinen Verständnis identisch ist (S. 37). Schlechte Voraussetzungen für einen Gottesbeweis! Nicht viel anders verhält es sich mit dem ewigen Leben. Auf Seite 98 sagt Tipler: „Die Omegapunkt-Theorie baut auf dem Postulat des ewigen Lebens auf.“ Er führt also einen zu beweisenden Aspekt seiner Theorie bereits als Voraussetzung für ihre Richtigkeit ein. Etwas zu Beweisendes vorher als Postulat festzulegen, führt die gesamte Omegapunkt-Theorie ad absurdum.
Damit aber nicht genug: Tipler beginnt seine Argumentation mit einer Nominaldefinition des Menschen, den er lediglich als eine besondere Art von Maschine betrachtet. Das Gehirn dient dabei der Informationsverarbeitung, die Seele ist nichts anderes als ein laufendes Softwareprogramm. Damit präsentiert er nur die Bestandteile, die er hinterher problemlos beweisen kann, ähnlich wie ein Fischer dessen Netz eine Maschenweite von zehn Zentimetern hat und der feststellt, dass alle gefangenen Fische mindestens zehn Zentimeter groß sind. Die kleineren Fische existieren für ihn nicht, weil er sie mit seinem Netz ja nicht fängt. Jedoch erfordert es seine Theorie, wie Tipler sagt, den Menschen lediglich als eine biochemische Maschine aufzufassen. Damit ist klar, dass ein Großteil des Menschseins durch die Maschen des Fischernetzes schlüpfen wird.
Nicht viel anders verfährt Tipler mit seiner Definition von Leben. Für ihn lebt, was Informationen verarbeitet. Leben ist also lediglich eine Art der Datenverarbeitung und der menschliche Geist ein hochkomplexes Computerprogramm (S. 163). Damit umfasst seine Definition von Leben nicht nur höher entwickelte, biologische Lebewesen auf Kohlenstoffbasis, sondern auch jede Art von Maschine, die intelligenzmäßig einigermaßen mit Menschen mithalten kann. Ewiges Leben betrachtet er als kontinuierlichen Fortschritt des Lebens der sich ewig fortsetzen wird und die Auferstehung besteht bei ihm in einer Art perfekten Computersimulation der Verstorbenen. Aber eine Simulation ist eben nur eine Simulation, egal wie perfekt sie ist. Tipler ist jedoch der Ansicht, dass das simulierte Denken und Fühlen der im Computer geschaffenen Personen real wäre, weil diese keine Möglichkeit hätten zu sagen, dass sie nur simuliert und nicht real sind. Im Computer erschaffene Menschen würden ewig leben, meint Tipler. Was jedoch bei einem Stromausfall oder Systemabsturz passiert, sagt er nicht.
Ihren freien Willen würden Lebewesen dadurch erlangen, dass verschiedene Parallelwelten existieren, in denen jede mögliche Zukunft tatsächlich geschieht, behauptet Tipler. Daraus könnte man jedoch auch schlussfolgern, dass ein in einer der Parallelwelten eingeschlossenes Individuum darin gefangen ist und eben keinen freien Willen hat. Außerdem weiß es nicht, dass Kopien von ihm in einer Parallelwelt existieren und dort möglicherweise völlig andere Lebenserfahrungen machen, die wiederum die Frage aufwerfen, welche Gemeinsamkeit dann noch zwischen ihnen besteht.
Tiplers Maschinen müssen aber neben Intelligenz und Bewusstsein auch ein Gewissen haben. Um das zu überprüfen, will er den sogenannten Turing-Test durchführen: In zwei verschiedenen, nicht einsehbaren Räumen befinden sich je ein Mensch und eine Maschine. In einem dritten Raum ist jemand der beiden Fragen stellt, durch die er herausbekommen muss, wer der Mensch und wer die Maschine ist. Wenn selbst nach Jahren die Person außerhalb nicht sagen kann, wo der Mensch und wo die Maschine ist, dann hat die Maschine den Turing-Test bestanden. Dabei gibt es jedoch zwei Probleme: Zunächst muss die Maschine auch lügen können, denn der Frager könnte ja zum Beispiel fragen: „Bist Du die Maschine?“ Und wieviel Zeit muss vergehen, bis der Frager aufgibt? Theoretisch könnte er ein Jahrhundert lang Fragen stellen; dann wäre der Mensch längst tot. Derjenige, der dann noch antwortet, muss die Maschine sein. Ein Roboter, der so intelligent ist wie ein Mensch und über Gewissen und Bewusstsein verfügt, würde sich aber vermutlich nicht auf so ein Spiel einlassen. Auch könnte er sich entscheiden nicht das menschliche Leben zu verbreiten, sondern Nachbauten seiner selbst. Denkende Wesen sind nun mal keine Maschinen, sondern unberechenbar.
Einen wichtigen Teil von Tiplers Zukunftsideen macht der Gedanke aus, dass das irdische Leben seinen Planeten verlassen muss, weil die Erde zum Untergang verdammt ist und das Leben an sich nur im Weltall überleben kann. Dazu muss der Mensch intelligente Maschinen, sogenannte Von-Neumann-Sonden, konstruieren, die in der Lage sind irgendwo im Weltall Leben zu erschaffen. Dieser Aspekt ist insofern interessant, als das Leben auf der Erde von einer solchen Sonde geschaffen worden sein könnte, wenn man der gängigen Evolutionstheorie nicht glaubt. Aber gemäß Tipler hat das Leben keine andere Wahl als sich im Weltall auszubreiten. Die Alternativen wären der sogenannte Wärmetod des Universums, der alles Leben sinnlos macht, oder die ewige Wiederkehr des Gleichen, wie von Nietzsche beschrieben. Letzteres würde bedeuten, dass der Leser immer und immer wieder eine Kopie des Buches von Tipler lesen müsste, wie er sagt (S. 98). Im übrigen würde die ewige Wiederkehr in den Nihilismus, zum Übermenschen und schließlich zum Nationalsozialismus führen. Welchen Anteil das immer wiederkehrende Lesen seines Buches daran hätte, lässt Tipler offen.
Das Universum ist für Tipler »per definitionem« die Gesamtheit alles Existierenden. Falls also Gott existiert, dann ist er das Universum oder ein Teil davon und die Physiker müssen ihn irgendwann finden. Was aber, wenn es nicht so ist, zum Beispiel, weil Gott nicht von den Physikern gefunden werden will?
Einsteins Gleichungen erlauben es, dass das Leben das Universum zwingen kann, den totalen Kollaps zu vermeiden, behauptet Tipler. Dafür muss es nur das Universum erobern, um auf einem weit höheren Niveau zu existieren. Wenn aber Gott das Universum ist, dann hieße das Gott zu erobern und ihn zu zwingen ewiges Leben zuzulassen. Außerdem würde das Leben damit Gottes Allmacht einschränken und sich seine Allwissenheit aneignen, was bekanntlich dem allgemeinen Verständnis von Allmacht widerspricht.
Auch der Heilige Geist findet bei Tipler seine Entsprechung in der universellen Wellenfunktion, deren Phasenwege im zukünftigen Omegapunkt enden. Diese Wellenfunktion wäre lebendig und würde damit quasi die Physik abschaffen. Wie sie das schafft, bleibt unklar; wie man sie berechnet, auch – trotz diverser mathematischer Formeln, die Tipler ausführlich präsentiert.
Aber auch komplizierte Berechnungen und Formeln können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tipler mit seiner Omegapunkt-Theorie im Grunde genommen nur ein ewiges Leben in Form einer Computersimulation präsentiert. Damit reduziert er den Menschen auf etwas, das einer Figur in einem Computerspiel gleicht. Dennoch fordert er die Ausgabe von Unsummen an Fördergeldern für den Bau von Superbeschleunigern und die Weltraumforschung. Dabei würde es ein einfacher Gameboy wohl auch tun.

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